Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Kontemplation, was ist das?

 

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Wieland Gerhardt

Kontemplation, was ist das? -
Ein lebenspendender Brunnen werden

Kontemplation ist ein spiritueller Übungs- und Erfahrungsweg.

Die Spiritualität: Als Mensch geboren sein.
Die Übung: Achtsam sitzen, atmen, gehen.
Die Erfahrung: Nur dies: Sitzen, atmen, gehen.
Der Weg: Alltag und Übung – Erfahrung – Alltag als Übung.

Wer den Weg der Kontemplation aufrichtig geht, lässt sich auf einen befreienden Wandlungsprozess ein, der das Bewusstsein von Grund auf verändert. Dieser Prozess ist die neue Geburt, von der Jesus im Johannes-Evangelium sagt: "Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen."

Johannes Tauler spricht von der Kontemplation als einer Übung der inneren Einkehr, bei der das menschliche Ich für sich selbst nichts hat. Für den Übenden ist diese Tatsache eine lebenslange Herausforderung.

Die kontemplative Übung

Der Übende schweigt. Er sitzt still mit untergeschlagenen Beinen gerade aufgerichtet möglichst erdnah auf einem Meditationskissen oder -hocker. Ältere Menschen oder Menschen mit Beschwerden können auch auf einem Stuhl sitzen. Der Übende folgt seinem Atem und lässt alle auftauchenden Gedanken immer wieder los, um der Stille hinter der Stille Raum zu geben. Oft wird dies mit den Worten 'hören, spüren, lauschen' umschrieben. Regelmäßig 15 - 25 Minuten zu sitzen dient der Übung mehr, als unregelmäßig besonders lange zu sitzen. Das meditative Gehen zwischen aufeinanderfolgenden Sitzeinheiten ist Teil der Übung.

Den Weg frei machen

Über längere Zeit still zu sitzen, verursacht gelegentlich Schmerzen im Körper. Sich regelmäßig zur Übung hinzusetzen, erzeugt gelegentlich Widerstände im Geist. Es fördert die Übung, wenn beides bewusst wahr- und angenommen wird. Dagegen anzukämpfen kann dazu führen, dass der Übende vergleicht und bewertet. Begeisterte werden dann hartleibig, Kämpfer stolz und Wissende schlau. All das sind Hindernisse auf dem Weg.

"Es kommt darauf an, bei der Übung dem Prozess nicht im Wege zu stehen, sondern den Weg frei zu machen, damit geschehen kann, was geschehen will. Üben Sie weiter! Es wird alles ganz klar werden", sagte mein Lehrer dazu.

Es wird alles ganz klar werden

Kinder vermögen die Wirklichkeit noch in ihrer 'heiligen Unabhängigkeit' (Dag Hammarskjöld) zu sehen. Ihr Blick ist unverstellt und klar. Im weiteren Lebensverlauf entwickeln sich dann aus vielfältigen glücklichen und leidvollen Erfahrungen selbstbezogene Vorstellungen von der Wirklichkeit. Durch sie wird der Blick verstellt und ist damit nicht mehr klar.

Wenn dann plötzlich geschieht, was geschehen will, wird der Blick im selben Moment wieder ganz klar. Alle subjektiven Filter, Schutzmauern, Konzepte verschwinden im Nu. Auf die Fragen 'Wer sitzt? Wer atmet? Wer geht?' ist die Antwort nicht mehr 'Ich'. Diese wie aus dem Nichts hervorbrechende Erfahrung lässt die Betroffenen verstummen, stammeln, weinen, lachen. Eine nie gekannte Freude ist dabei. Für jeden sind die äußeren Begleitumstände einer solchen Erfahrung anders. Gemeinsam ist eine tiefe Erschütterung und ein Dankbarsein und Staunen angesichts des fast Unerträglichen. Das Erleben selbst kann andauern: Minuten, Stunden, manchmal auch Tage.

"Haben Sie Vertrauen und sitzen Sie weiter. Es wird alles gut werden", sagte mein Lehrer danach.

Es ist ein Segen, auf dem spirituellen Übungs- und Erfahrungsweg von Menschen begleitet zu werden, die den Weg schon gegangen sind, und denen man uneingeschränkt vertrauen kann.

Es wird alles gut werden

Menschen, denen eine Erfahrung zuteil wird, erfahren ein manchmal verstörendes Paradoxon: Sie erfahren mitten im 'Nichts ist gut!' 'Alles ist gut!' Aus diesem Paradoxon erwächst der große Zweifel, den Übende auf ihrem weiteren Weg neben einem großen Glauben und einer großen Entschlossenheit brauchen.

Die Worte 'Es wird alles gut werden' sagen etwas über den Wandlungsprozess aus und verweisen darauf, dass der Weg nach einer Erfahrung weitergeht. Auf dieser wichtigen Wegstrecke kann das Loslassen verfestigter Gottesbilder und tief eingewurzelter Verhaltensmuster besonders schmerzlich sein. Manche Lehrer sagen, dass man nach einer Erfahrung mit der Übung nicht mehr aufhören darf.

Ein lebenspendender Brunnen werden

Mit den Jahren kommt der Übende allmählich zu einer Reife und großen Freiheit. Sie befähigen ihn dazu, das, was noch nicht gut ist, zu erkennen und dort, wo es möglich ist, auch zu wandeln, ein jeder an dem Ort, wo er oder sie im Leben gerade hingestellt ist. So kann jeder und jede aufrichtig Übende früher oder später für alles, was ins Leben gerufen ist, zu einem lebenspendenden Brunnen werden.

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Quellbrunnen am Benediktushof, Foto: (c) Wieland Gerhardt
 

Wieland Gerhardt,
Jg. 1941, verheiratet, 1 Tochter, 1 Sohn †, 2 Enkelkinder, Dipl.-Ing. i. R., Lehrer und Mitglied im Würzburger Forum der Kontemplation e. V. und Lehrer der Leere Wolke Zen-Linie Willigis Jäger. Prägende Lehrer (Kontemplation): Willigis Jäger, Pfr. Albert Hennegriff †, Sr. Mechthild Fricke OP; prägende Lehrer (Zen): P. Enomiya Lassalle SJ †, P. Victor Löw OFM †, Paul Shepherd, Willigis Jäger.
E-Mail: E-Mail,  Internet: Link

 

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