Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Aus der Praxis für die Praxis

 

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"Schweige und höre"

10 Jahre offene Kontemplationsgruppe in Baden-Baden

Autor: Dr. Gerhard Elwert

Unter dem Motto dieser Liedzeile treffen sich an jedem Mittwoch von 18.00 bis 19.30 Uhr Menschen aller Altersstufen und verschiedener Weltanschauungen zur Kontemplation im Gästehaus des Cistercienserinnenklosters Lichtenthal am Stadtrand von Baden-Baden.

Es begann einfach und bescheiden vor 10 Jahren. Wie aus dem Nichts wuchs eine offene Kontemplationsgruppe, zunächst jahrelang mit nur wenig Übenden. Heute zählen ungefähr 25 Personen zum erweiterten Kreis.

Beworben wurde das Kontemplationsangebot ursprünglich durch unterschiedliche Bildungsträger wie die evangelische und katholische Erwachsenenbildung, die Volkshochschule und das Kulturprogramm der Stadt. im Frühjahr und Herbst wurde zu Einführungskursen eingeladen. In sechs Wochen wurde jeweils an einem Abend die Übung der Kontemplation dargestellt und in ersten Schritten geübt.

Die Gruppe hatte in den vergangenen 10 Jahren mehrere Gastgeber, die ihre Räume kostenlos zur Verfügung stellten. Die ersten Einführungskurse fanden in der Schülermensa der Klosterschule vom heiligen Grab statt. Dazu musste die Mensa jedes Mal umgeräumt werden. Die Meditationsbänkchen lieh uns die benachbarte altkatholische Spitalkirchengemeinde. Als sich Bedürfnis nach wöchentlichem Üben regte, fand die Gruppe lange Zeit Heimat in der Hauskapelle des St.-Vincentius-Altenpflegeheims. Schließlich konnte die offene Kontemplationsgruppe im Februar 2012 im Cistercienserinnenkloster Lichtenthal aufgenommen werden.

Dieser Ort ist ausgezeichnet für die Kontemplation. Denn seit 1248 leben hier durchgehend Nonnen in beschaulicher Lebenspraxis zusammen. Die Verantwortlichen für das Gästehaus des Klosters begrüßen ausdrücklich in religiöser und weltanschaulicher Offenheit, dass die Lebenspraxis der Kontemplation allen Suchenden und Übenden zugänglich ist und nahe gebracht wird.

Aus den Teilnehmenden der Kurse bildete sich die offene Gruppe. Anfangs übten wir manchmal zu zweit oder zu dritt, doch die Geduld bewährte sich. Nach fünf Jahren gab es eine kleine Kerngruppe, die Neue wohlwollend begrüßte und in einer von Stille getragenen Atmosphäre integrierte.

Allen gemeinsam war und ist der Wunsch nach Stille und Schweigen. Das innere und äußere Räderwerk sollte wenigstens einmal in der Woche nachhaltig unterbrochen werden. Die Motivationen, Kontemplation zu üben, sind in der Gruppe sehr verschieden. Einige suchen wöchentlich eine Auszeit und wollen wenigstens in dieser Zeit innerlich und äußerlich unbeschäftigt sein. Nichts müssen und in Einfachheit entkrampft und locker da zu sein, ist für sie tiefe Entspannung oder wie Wellness. Für andere ist die Kontemplation eine Methode, sich selbst zu begegnen, bei sich zu Hause zu sein oder tiefe Selbsterfahrungen zu machen. Und schließlich ist manchen die spirituelle Erfahrung wichtig, in der Gegenwärtigkeit des Augenblicks mit der Lebensfülle beschenkt zu werden. Auch religiöse und kirchentreue Menschen schätzen die Kontemplation, weil sie in den wortreichen Gottesdiensten eine Kultur der Stille vermissen. So wurde die offene Kontemplationsgruppe zu einem Ort, wo Menschen mit verschiedenen weltanschaulichen, spirituellen und religiösen Auffassungen gemeinsam so da sein können, wie sie wollen und wie sie geworden sind.

Bei einigen Gruppenmitgliedern entwickelte sich der Wunsch, die Kontemplation Alltag werden zu lassen oder gar Kontemplationsschüler/in bei einem Kontemplationslehrer bzw. bei einer -lehrerin zu werden. Die Übung der Kontemplation konnte aber auch zur Entscheidungshilfe werden, einen anderen spirituellen Weg einzuschlagen wie z.B. das Herzensgebet, Bibliodrama, den liturgischen Tanz, das Yoga oder den Zen.

Seit September 2014 gibt es im Zwei-Monatsrhythmus samstags den Kontemplationstag. Er findet im Lutherhaus statt. Dieser Erfolg beflügelte, zwei neue Projekte vorzubereiten. Zum einen eine offene Gesprächsgruppe für Menschen, die an einem Lebensstil aus der Stille und der gegenstandsfreien Spiritualität interessiert sind. Zum anderen findet im Geist einer weltoffenen Mystik jeden Monat eine „Feier des Lebens“ statt, wo Menschen vor allem mit apersonalen oder ohne Gottesvorstellungen und ohne dogmatische Vorgaben das universelle Leben gemeinsam feiern.

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.

Rainer Maria Rilke, 22. 9. 1899, Berlin-Schmargendorf

Gerhard Elwert,
Jahrgang 1952, Dr. phil., Dipl.-Theol., Kontemplationslehrer der Wolke, Referenzlehrer Pater Willigis, Psychotherapeut, Supervisor, Couch, Erwachsenenbildner und Ethiklehrer.

 

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