Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Lehrerinnen und Lehrer im WFdK

 

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Beatrice Grimm
"Solange wir einen Körper haben, gibt es keine körperlose Erfahrung"

Vorstellung einer langjährigen Lehrerin

Autorin: Elisabeth Müller

Wie aus dem Einen das Viele wird, zeigt sich besonders anschaulich an der Arbeit von Beatrice Grimm, deren Schwerpunkte Kontemplation, Körperarbeit und Tanz sich in ein vielfältiges Engagement auffächern. Da sie neben Willigis Jäger, Fernand Braun, Petra Wagner und Franz-Nikolaus Müller die Kontemplationslinie Wolke des Nichtwissens leitet, möchten wir sie hier ausführlich vorstellen.

Heute über 60 Jahre alt, hat Beatrice Grimm das Gefühl, noch nie so intensiv gelebt zu haben. „Es ist, als würde ich meine eigenen Früchte ernten und gleichzeitig ist der Baum voller Blüten“, sagt sie mit einer öffnenden Geste, und ihr ist trotz eines beachtlichen Kurspensums sowie der zeitintensiven Arbeit in dem 2005 gegründeten Verlag „Wege der Mystik“, kein Gehetztsein anzumerken. Vielmehr scheint sie Präsenz auf eine Weise zu verkörpern, die sie vor Aktionismus bewahrt. Denn sie baut sich Brücken: „Zum Beispiel spüre ich im Moment meine Finger auf der Tastatur und meine Handgelenke sind in Kontakt zum Notebook. Gleichzeitig spüre ich meine Fußsohlen und nehme wahr, wie unterschiedlich sie auf dem Boden stehen. Ich nehme diese Buchstaben wahr und den feinen Geruch und auch Geschmack des Raumes, genau in diesem Moment. Natürlich gelingt mir das nicht immer. Wenn ich das Gefühl habe, die Präsenz zu verlieren, spüre ich den Körper wieder neu, schaue ins nackte Sein und nehme diesen spürbaren Moment mit in die Aktivität.“

Ein langer Entwicklungsweg, vor allem von Körperbewusstsein, lässt sich dahinter erahnen. Geboren und aufgewachsen in Bern, hatte Beatrice als kleines Mädchen den Wunsch, Tänzerin zu werden, ihre anthroposophisch orientierte Mutter schickte sie aber zur Eurythmie. Ab dem siebzehnten Lebensjahr erhielt sie dann Unterricht in Ausdruckstanz bei Roni Segal und Harald Kreutzberg. Es folgte die Schauspielschule, dann eine zwölfjährige Theaterarbeit. Nachdem Beatrice Grimm jahrelang an großen Staatstheatern aufgetreten war und erfahren hatte, dass gerade das Schauspiel von einer starken ‚Anbindung‘ an den gegenwärtigen Augenblick lebt, rief sie in Berlin mit anderen die Gruppe „Schauspiel durch Sein“ ins Leben, um diesen Zusammenhang in den Mittelpunkt zu rücken. Daraus erwuchs das von ihr mitgegründete Theaterhaus Berlin. Als internationale Fortbildungsstätte für Schauspieler/innen war es für Beatrice Grimm der Grund, lange Jahre in Berlin zu leben. In dieser Zeit schulte sie ihre Körperwahrnehmung bei Frieda Goralewski und Charlotte Selver mit den von Elsa Gindler begründeten Methoden, die später in Körperpsychotherapie und Körperarbeit einflossen. Bis heute, so erklärt Beatrice Grimm, sei die Gindler-Arbeit die Grundlage für ihre spürende Körperarbeit in Beruf und Alltag. „Es geht darum, Bewusstsein durch den Körper wahrzunehmen. Vor allem durch die Körperarbeit ist es möglich, unser Wahrnehmungsgefäß, unser Bewusstsein zu erweitern. Solange wir einen Körper haben, gibt es keine körperlose Erfahrung. Mich und den Raum zu spüren, kenne ich seit ich ein kleines Mädchen war. Mein Tast- und Raumsinn ist inzwischen ausgeprägter und hat mit dem Alter nicht nachgelassen, im Gegensatz etwa zum Hör- und Sehsinn.“ So ließen weitere körperorientierte Ausbildungen in sakralem Tanz, Qigong, phänomenologischer Körpertherapie sowie die jahrelange Arbeit in der Ridhwan-Schule und die Arbeit mit ,Essenzieller Bewegung’ bei ihr die Überzeugung reifen: „Wie ein spiritueller Weg ist die wahrnehmende Körper- und Sinnesarbeit nie zu Ende. Mein ganzes Leben lang, und ich denke, wenn es mir geschenkt wird, besonders im Tod, werde ich versuchen noch mehr wahrzunehmen.“

Doch auch in ihrem Leben gab es Zeiten, da ihr alles zu viel wurde, und sie drauf und dran war, ins Kloster einzutreten. Eine dieser Krisen führte sie, wie in dem Buch „Das Leben ist Religion“ beschrieben, zu Willigis Jäger. Im Januar 1975 starb ihre Schwester während eines Meditationskurses. Dieser Vorfall stieß Beatrice in eine tiefe mystische Erfahrung, gefolgt von einer langanhaltenden Krise. „Ich starb ein Stück weit mit“ schreibt sie. „Es verbrannte und zerfetzte mich bei lebendigem Leib. In Meditation verließ ich meinen Körper und betrachtete mich und die Umgebung von oben. In diesem Zustand fühlte ich mich zwar wohl, aber in mir brannte es umso mehr, wenn ich in den Körper zurückkam. Ich war in meinem Körper nicht mehr zu Hause. Wer war ich? Wer schlief? Wer wachte?“

Sie suchte damals verschiedene Meditationslehrer auf, auch Schamaninnen und Psychiater. Manche von ihnen attestierten ihr eine schlimme Krankheit, aber helfen konnte keiner. Sie schildert, dass dieser Zustand jahrelang anhielt. „Mir war das Leben verleidet, so konnte es nicht weitergehen“. Bis zwölf Jahre später eine Therapeutin sie auf Willigis Jäger aufmerksam machte, als dem einzigen Menschen in Europa, der ihr helfen könne. Ihn lernte sie im Januar 1987 in Berlin kennen. In dem komplett ausgebuchten Kurs wartete gleichwohl die ersehnte Lösung, denn ein Platz war kurzfristig abgesagt worden und Beatrice Grimm bekam ihn. Willigis Jäger bestätigte ihr am folgenden Tag im Einzelgespräch, dass ihr das Sitzen nicht gut täte und schickte sie nach Hause. „Ich könne noch über Nacht bleiben und solle zum Gespräch kommen, bevor ich das Haus verließ. […] Am nächsten Morgen machte er mir klar, dass er mir wohl nicht helfen könne“, doch er bot ihr an, am Nachmittag noch einmal die Gelegenheit zum Gespräch zu nutzen. Bei jeder Begegnung wurde Beatrice Grimm deutlicher, dass hier der erste Mensch saß, der sie durchschaute und ihre Misere erkannte. Sie vertraute ihrer Intuition, bat ihn im dritten Gespräch um Hilfe. Daraufhin erklärte ihr Willigis Jäger, dass sie in einer ganz normalen spirituellen Krise sei und riet ihr, das Sitzen durch das Tanzen zu ersetzen. „Da stand nun dieser zierliche, bodenständige, ältere Herr. Es berührte mich zutiefst zu sehen, wie er mir ganz schlicht, ohne Schnörkel, vom Schreibtisch weg ein paar sich wiederholende Schritte vortanzte, mit denen ich mich in den letzten Wochen ohnehin beschäftigt hatte. Woher wusste er das?

Sie beschreibt weiter, wie sie durch die Übung der Achtsamkeit im Augenblick beim Teppichknüpfen und beim Spazierengehen allmählich wieder ein verlässliches Körper- und Realitätsgefühl bekam, gespeist von der bedingungslosen Liebe und Hingabe, die sich von Willigis Jäger auf sie übertrug und sie ermutigte loszulassen und sich dem Leben hinzugeben. Bis sie eines Morgens aufwachte und sich ihr Körper leicht anfühlte, weich und geschmeidig. „Ich renne durchs Haus – nein: Es rennt durchs Haus, es tanzt durch den Garten, es zündet ein Feuer an, und es lacht und lacht. Alles ist in Ordnung, so wie es ist. Aus den Augen aller Wesen schaut plötzlich ein Gleiches, und ich empfinde nichts als Liebe.“

Als dann unweigerlich die Ernüchterung des Alltagsbewusstseins folgte, kehrte Beatrice Grimm gestärkt zu ihrer Arbeit mit ausländischen Familien und ihren Kursen nach Berlin zurück. Ein halbes Jahr später bat Willigis Jäger sie, nach Würzburg ins Haus St. Benedikt zu kommen, um mit ihm Kurse in ganzheitlichem Beten anzubieten.

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Aus ihrem Schulungs- und Lebensweg erwuchs Beatrice Grimm die Erkenntnis, dass die Kontemplation, ebenso wie jeder andere Versenkungsweg, eine inkarnierte Spiritualität und ohne Körper nicht möglich ist. Dieser Erkenntnis verdankt ihr die christliche Mystik von heute das Körpergebet. Denn als Beatrice Grimm feststellte, dass das Christentum eigentlich keine Tradition des Körpers kannte, begann sie gemeinsam mit Willigis Jäger, verschiedene Andachtshaltungen empirisch zu erforschen. „Zehn Jahre lang haben wir im Haus St. Benedikt, während der Kontemplationskurse die Menschen Gebetsgebärden entdecken und vertiefen lassen und sie gebeten, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Gleichzeitig haben wir geschaut, welche Gebärden in unserer Tradition in Museen, Kirchen und Kathedralen oder auch in älteren Schriften auftauchen. Die gefundenen Gebärden habe ich dann von innen, aus der Sicht der Prinzipien des Qigong betrachtet und festgestellt, dass die Gebetsgebärden der westlichen Traditionen, die gleichsam Urgebärden der Menschheit sind, ebenfalls vorne und hinten, unten und oben, innen und außen auszugleichen suchen. Diesen Gesetzmäßigkeiten liegt die Erfahrung zugrunde, dass wir uns zum Beispiel gut öffnen können, wenn wir uns gut schließen und umgekehrt. Eine sich ergänzende Abfolge der verschiedenen Körperhaltungen wird als heilsam empfunden.“

Vor dem Hintergrund eines Elternhauses, in dem der Vater, bevor er morgens seine Arbeit als Personalchef in einem großen Unternehmen begann, Yoga und Meditation praktizierte, und die Mutter mit den Kindern abends still den Sonnenuntergang betrachtete, entwickelte Beatrice Grimm also eine Kurstätigkeit, in der die Kontemplation zunächst eine „Randerscheinung“ war. Denn sie wuchs zwar in die Arbeit von Willigis Jäger hinein, verstand es aber gleichzeitig, ihrer eigenen Spur zu folgen.

Dazu gehört, dass sie auch den Unterschieden nachgeht zwischen weiblichen und männlichen Zugängen zur Mystik und mir in Teresa von Avilas Worten bestätigt, was ich selbst erlebe: „Es sind nämlich viel häufiger Frauen als Männer, denen der Herr diese (mystischen) Gnaden erweist. Und das hörte ich den heiligen Petrus von Alcantara sagen und beobachtete es auch selbst, dass Frauen auf diesem Weg besser vorankommen als Männer, und er gab dafür ausgezeichnete Gründe an, die ich hier nicht aufzählen kann, alle zugunsten der Frauen.“ (Erika Lorenz: Teresa von Avila, Lockruf des Herrn, München 1999, S. 165 ff.) Beatrice Grimm versucht in ihren Kursen, diese natürliche Begabung von Frauen zur tiefen Öffnung zu ermutigen, denn ihr ist klar, „dass auch uns Frauen weibliche Elemente fehlen, die in patriarchaler Zeit überfremdet worden sind: Verbundenheit mit der Natur, Rhythmen der Natur, Zyklen, ein entsprechendes Zeitmaß, Intuition, Offenheit, ganzheitliches Erfassen, Schauen, Empfinden, Zuwendung, Fürsorglichkeit, Hingabe, Mitgefühl, Liebe, Kommunion und Agape. Das weibliche Prinzip ist empfangend, vereinend, tragend, nährend, verschlingend, bewegend.“

Und damit wird auch klar, dass es ihr dabei nicht um eine Polarisierung von Frauen vs. Männern geht, denn sie spannt den Bogen vom individuellen Körper als Erfahrungsraum zum großen Erdenkörper, aus dem wir alle kommen und der uns ernährt und erhält. Somit gehört zu Beatrice Grimms Hauptanliegen ein bewusstes Leben im Großen wie im Kleinen. „Jede/r Einzelne ist vom heutigen Ungleichgewicht auf unserer Erde betroffen, und kann gleichsam zu einem neuen Gleichgewicht beitragen, denn jeder Gedanke, jede Handlung wirkt sich auf das Gesamtbewusstsein aus, und das wiederum formt die Welt mit.“ Und ihr Wissen um die Lebendigkeit unseres Planeten drückt sie so aus: „Manchmal sehe ich das Weibliche als die Sehnsucht der Materie sich zu transzendieren, um sich dann wieder neu zu verkörpern. Eine sich unendlich bewegende Spirale, die im Grunde die Evolution selbst ist.“

Darüber hinaus weist sie auch durch Beiträge auf ihrer Homepage immer wieder auf himmelschreiende Missstände, wie Hunger, Umweltverschmutzung, Verschwendung etc. hin und lässt sich in ihrer Lebensführung von dem Motto: ‚Mystik verpflichtet’ wachrufen.

Inzwischen begleitet Beatrice Grimm seit mehr als 30 Jahren Menschen auf ihrem Entwicklungsweg. Dabei schaut sie vor allem darauf, wie sich der kontemplative Weg im Leben ihrer Schülerinnen und Schüler manifestiert und empfindet sich als Gärtnerin, „die vielleicht im entscheidenden Moment, einer durstigen Pflanze etwas Wasser gegeben hat.“ Das ist ihr Beitrag für die Zukunft, die nicht von der Weiterentwicklung unseres Verstandes abhängt, sondern von der Erweiterung unseres Horizonts und unseres Herzens. Und der Wandel, den die Welt so dringend braucht, aber fast nicht mehr zu erhoffen wagt, klingt plötzlich fast körperlich greifbar, wenn Beatrice Grimm ihn auf den Punkt bringt: „Ein konsequenter spiritueller Übungsweg, der in die Erfahrung unseres Wesens führt, lässt uns die Veränderung sein, die in der Welt geschehen soll.“

Elisabeth Müller,
aufgewachsen als Pfarrerstochter in Mexiko-City. Lebt mit Mann und Sohn in der Nähe von Frankfurt; ein weiterer Sohn ist epilepsiekrank. Literaturübersetzerin und Lektorin für Spanisch und Französisch und Schülerin von Willigis Jäger. Kontemplationslehrerin im WFdK, Ausbildung in transpersonaler Prozessarbeit "Schritte ins Sein" bei Richard Stiegler. Gibt Kontemplationskurse und begleitet Einzelne auf dem inneren Weg.
E-Mail: E-Mail,  Internet: Link

 

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