Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Frauen und Männer der Mystik

 

Der nachfolgende Text ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung der Autorin/des Autors bzw. des WFdK.

 

◄ Fenster schließen    ▼ zum Seitenende     Seite drucken Seite drucken

WilligisJaeger 95x126

Evagrius Ponticus

Autor: Willigis Jäger

Evagrius wurde 365 in Pontus geboren, erhielt von Basilius die Lektoren- und von Gregor von Nazianz die Diakonenweihe. Er war ein brillanter Verteidiger des Glaubens gegen die Arianer. Nach einer persönlichen Krise - er hatte sich mit einer verheirateten Frau eingelassen - zog er sich in ein streng asketisches Leben zurück.

Er floh aus Konstantinopel und ging nach Jerusalem, um sich später in die ägyptische Wüste zurückzuziehen. Dort lebte er von 383 bis zu seinem Tode 399. Er wurde von den Altvätern Abbas Makarios von Alexandria und Abbas Makarios dem Großen stark beeinflusst. Im Unterschied zu vielen Mönchen war er hochgebildet. Er war ein geistiger Schüler von Origenes. Origenes war noch nicht verurteilt und seine Schriften waren festes Lehrgut der Theologie. Zwischen den studierten Mönchen und den einfachen Mönchen, die wegen ihrer anthropomorphen Gottesvorstellung „Anthropomorphisten" genannt wurden, gab es Spannungen. 543 und 553 wurden bestimmte Thesen von Origenes verurteilt. Auch Evagrius und seine Schriften gerieten dadurch ins Zwielicht.

Evagrius schrieb eine Triologie, in der er seine Sicht des mystischen Lebens niederlegte: Praktikos, Gnostikos, sowie die Kephalaia Gnostica. Dazu kommt noch ein Werk ,De Oratione'. Seine Aussagen gleichen oft „Gipfeln mystischer Eisberge, die ihre wahre Größe und Gestalt erst nach langer Meditation und gründlicher Erforschung preisgeben." (McGinn, S. 217)

Evagrius ein Buddhist?

Evagrius ist ein konsequenter Mystiker und kam daher in Verdacht, nicht mehr christlich zu sein und dem Buddhismus näher zu stehen als dem Christentum (Urs v. Balthasar). Evagrius schrieb aus seiner tiefen Einheitserfahrung. Er entkleidete die christlichen Grundbegriffe ihrer spezifischen Bedeutung, was jeder wirkliche Mystiker versucht, weil er der Begrifflichkeit der Sprache entrinnen möchte.

Ich möchte mich in dieser kurzen Darstellung auf zwei Begriffsinhalte beschränken: Apatheia - Leidenschaftslosigkeit und Gnosis - Schau (Gnosis hat hier nichts mit Gnostizismus zu tun). Apatheia lässt sich am einfachsten definieren mit dem, was Eckehart unter Gelassenheit versteht. Gelassenheit hat bei Eckehart mit Loslassen zu tun und bedeutet das Loslassen aller Vorstellungen und Bilder von Gott. Nur so kommt man zur Gnosis, zur reinen Schau, zu einer Erfahrung jenseits der kognitiven Erkenntnis. Gnosis kommt zustande, wenn der „nous" (Geist) ganz einfach geworden ist. Wo ein umrissenes Objekt in der Mitte der Meditation steht, ist die Gnosis nicht vollkommen. Wenn der „nous" dieses Stadium erreicht hat, kann man ihn göttlich nennen, zumindest durch Teilhabe. Zwar geht es bei Evagrius immer um die Schau der Heiligen Dreifaltigkeit, aber diese Schau bringt eine unterschiedslose Erfahrung hervor, die eher mit Gottheit umschrieben werden kann.

Das Wesen des Menschen - gleich Gottes Wesen

Ähnlich ist es auch bei Eckehart, der den Abgrund Gottes und den Seelengrund gleichsetzt. Die wirkliche Gnosis bewirkt ein Verschmelzen mit der trinitarischen Einheit: ... „um wie viel mehr wird das intelligible (logikoi) und grenzenlose und unveränderliche Meer, welches Gott der Vater ist, wenn diese Intellekte (logikoi) wie Sturzbäche ins Meer zu ihm zurückkehren, diese alle in seine Natur und seine Farbe und seinen Geschmack umwandeln! Und hinfort werden sie nicht mehr viele sein, sondern sie sind eins in seiner Einzigkeit ohne Ende und ohne Unterscheidung" (McGinn, S. 228).

Dieses Eine kann der Mystiker nicht von seinem wahren Wesen getrennt erleben. Dies aber verursacht immer wieder die Irritation in den theistischen Religionen, die meinen, das ontologische Anderssein der Geschöpfe unbedingt aufrecht erhalten zu müssen.

Evagrius kennt keine Ekstase

Die theoria theologike ist ein klarer Bewusstseinszustand. Evagrius verliert nicht den Kontakt mit der gesamten Schöpfung Gottes und sieht seine Verantwortung für sie. Er erklärt: „Ein Mönch ist ein Mensch, der sich von allem getrennt hat und sich doch mit allem verbunden fühlt." Sein Auszug aus der Welt trennt den Mönch zwar von allem, sein Ziel ist es jedoch, sich in die Harmonie und die Verantwortung der ursprünglichen Schöpfung zu versetzen. Hat ein Mönch die Einigung erreicht, gewinnt er ein ganz neues Verhältnis zur Schöpfung und eine innige Verbundenheit mit allen Menschen.

„Gib dich also entschlossen ganz dem Gebete hin. Achte dabei weder auf Sorgen noch auf andere Gedanken, die in dir aufsteigen, während du betest. Alles, was sie bei dir erreichen können, ist, dich zu stören und dich zu beunruhigen, um schließlich deine entschlossene Zielgerichtetheit ins Wanken zu bringen." (Kap. 9)

„Wenn du betest, dann stelle dir die Gottheit nicht als Bild vor. Halte deinen Geist überhaupt frei von jeglicher Form und nähere dich ohne jede Materie dem immateriellen Wesen, denn so nur wirst du es erkennen". (Kap. 66)

„Krachende Geräusche, Gebrüll, Stimmen und Schläge kann der vernehmen, der sich darin übt, zum reinen Gebet zu kommen. All das aber verursacht der Teufel. Du jedoch bleibe unverzagt. Verharre im gegenwärtigen Augenblick und rufe so oder auf ähnliche Weise zu Gott: „Ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir." (Kap. 97)

„Wenn du betest, dann kümmere dich nicht um die Bedürfnisse deines Leibes, sonst könntest du wegen eines Flohbisses oder wegen einer Laus, einer Fliege, oder eines Moskitos jener unübertroffenen Gabe Schaden zufügen, die dir im Gebet geschenkt wird." (Kap. 105)

„Du darfst dir beim Beten auf keinen Fall ein Bild von irgend etwas machen, du darfst dir nichts vorstellen." (Kap. 114)

„Lass mich hier wiederholen, was ich schon bei anderer Gelegenheit gesagt habe: Selig ist jener Geist, der beim Gebet völlig frei ist von jederlei Form." (Kap. 117)

„Selig ist jener Geist, der, während er betet, frei ist von allem Gegenständlichen, ja sich sogar aller Gedanken entledigt hat." (Kap. 119)

(aus „Die 153 Kapitel über das Gebet")

Literatur
McGinn B., Die Mystik im Abendland, Freiburg 1994
Evagrius Ponticus, Cisterician Publicatios, Kalamazoo, Michigan 1978
Evagrius Ponticus, Praktikos - Über das Gebet, Schriften zur Kontemplation, Münsterschwarzach 1986

Willigis Jäger, OSB
Priester und Zenmeister. Er führt Menschen in die christliche Mystik und Zen ein und wendet sich vor allem auch an Menschen, die sich keiner Konfession zuzählen, aber einen spirituellen Weg suchen. Willigis Jäger, Balthasar-Neumann-Str. 4, 97292 Holzkirchen.

 

◄ Fenster schließen    ▲ zum Seitenanfang     Seite drucken Seite drucken