Würzburger Forum der Kontemplation e. V. (WFdK)

Kontemplation, was ist das?

 

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Margitte Niederstucke

Was ist Kontemplation?

So werde ich in einem Brief gefragt. Da wir einander nicht anschauen können, muss ich Informationen über die Person aus und zwischen den Zeilen lesen und bei einem ersten Gespräch am Telefon aufmerksam lauschen, um diesen Menschen möglichst leibhaftig vor mir zu sehen.

Mir scheint, dass sich für jeden die Antwort anders formuliert. In welcher inneren und äußeren Haltung befinde ich mich selbst? Welcher Hinweis, welche Beschreibung, welches Bild erreicht diesen Menschen, so dass sein Herz von dem Weg und dem Ziel der Kontemplation angerührt wird?

Was ist Kontemplation? Dieses Wort zeigt bereits den Weg und das Ziel. Kontemplation kommt von dem lateinischen Wort „Kon-templare"= Kontakt aufnehmen, in Kontakt kommen, in Kontakt sein mit dem Tempel.

Warum wird der Raum in der Mitte unseres Herzens „Tempel" genannt, als innerstes Heiligtum unseres Körpers, Allerheiligstes, Grund, Wesensnatur oder auch als der Ort, in dem Gott in uns zuhause ist - beschrieben?

Es ist ein Hinweis auf die andere Ebene der Einen Wirklichkeit, die sich jedem Zugriff entzieht und weder mit Intellekt noch Gefühl auszuloten ist.

Sie geht über die Person hinaus, ist „das ganz Andere". Diese Ebene hat keine Form und keinen Namen. Aber um diese Wirklichkeit und den Weg dahin zu beschreiben, braucht es Worte und Begriffe. Dieser transpersonale Raum gehört zum Menschen: „Nie getrennt vom Hier und jetzt, fließt es ständig über. Suchst du es, so kannst du es nicht finden./ Du kannst es nicht ergreifen und doch kommst du nicht los davon./ Weil du es schon hast, kannst du es nicht erlangen." (Shodoka V. 39)

Die mystische Literatur ist voll vom Jubel über die Erfahrung, dass die Fülle des Lebens in jedem Augenblick im Menschen strömt. In seinem Buch „Der cherubinische Wandersmann" beschreibt der Mystiker Angelus Silesius (17. Jh.) in jedem seiner über 350 Verse die Erfahrung des Einen. Drei Kostproben aus meinen Lieblingsversen: „Mensch, nichts ist unvollkomm'n./ Der Kies gleicht dem Rubin./ Der Frosch ist ja so schön/wie Engel Seraphim."

„Gott liebt und lobt sich selbst/ so viel er immer kann./ Er kniet und neiget sich./ Er bet't sich selber an."

„Gott tut im Heil'gen selbst./ All's was der Heil'ge tut, Gott geht, steht, liegt, schläft, wacht,/ isst, trinkt, hat guten Mut."

Wir haben den Zugang zu dieser lebendigen Fülle in uns verloren. Wie finden wir den Weg in die Erfahrung dieser Wirklichkeit?

Unser Wesensgrund wird erfahrbar, wenn unsere Aufmerksamkeit voll und ganz auf ein Tun ausgerichtet ist; beispielsweise auf diesen einen Atemzug, oder dieses eine Körpererleben, oder diesen einen Schritt, diesen einen Ton, ohne Vorher und Nachher, ganz im Hier und Jetzt. Dies bedeutet jahrelanges Praktizieren der Übung, denn sie ist einfach, aber sie ist nicht leicht. Wir brauchen die achtsame Wiederholung auf dem Weg. Warum ist das so? Mit ihr unterbrechen wir den Lauf der Gewohnheit in unserem Umgang mit den Dingen. Indem wir innehalten und unser zerstreutes Bewusstsein auf ein Tun sammeln, z. B. auf den Atem (ich spüre mein Einatmen, ich atme aus; spüre wo mein Einatmen Raum in mir gibt, atme wieder aus...) kommen wir im Augenblick an; wir greifen sozusagen in die Speichen des Rades unseres automatisch ablaufenden, größtenteils unbewusst bleibenden Lebens.

Der christliche Mystiker Johannes Tauler (14. Jh.) gibt uns einen Hinweis für die Übung der inneren Einkehr:

„Der Mensch lasse die Bilder der Dingen ganz und gar fahren und mache und halte seinen Tempel leer." Der Zugang zur Erfahrung der Einen Wirklichkeit wird blockiert durch die Begrenzung unseres Bewusstseins, das konzentriert ist auf die Bilder, die wir uns von den Dingen der Welt gemacht haben. Johannes Tauler meint (m. E.): lasse die Bilder los, halte nicht fest, hafte nicht an deinen Vorstellungen, sie entsprechen nicht der anderen Ebene der Wirklichkeit - von der du eine Ahnung hast, die dich ruft und lockt und dein Sehnen verstärkt - lass los, werde leer. Das Sitzen in der Stille während der Kontemplation entleert die Gedanken, führt in das innere Schweigen. J. Tauler fährt fort: „Denn wäre der Tempel entleert, und wären die Bilder und Phantasien, die den Tempel besetzt halten draußen, so könntest du ein Gotteshaus sein, und nicht eher, was du auch tust."

Hier wird es ganz deutlich: wir haben die Fähigkeit zur Gottesbegegnung in uns.

In der Flut der Bilder, im Übermaß der Worte ist es notwendig die Orientierung nicht zu verlieren. Orientierung, Halt, Boden unter den Füßen. Klarheit und Einfachheit kommen aus der Erfahrung innerer Wirklichkeit, aus ihr entsteht eine neue Sichtweise: sie bahnt einen Weg durch Verwirrung, Verstrickung und Leiden.

Wir wissen: den Weg finden wir nur, wenn wir uns auf den Weg machen. was hindert uns, unsere Übung im Alltag gerade in den Momenten einzusetzen, die wir als problematisch erleben - in denen sich körperlich auswirkt, dass wir Angst haben, überfordert sind, in denen uns Panik ergreift oder wir erstarren?

Sind wir uns dessen überhaupt bewusst, was in einem solchen Moment geschieht? Haben wir genug Distanz, zu beobachten? Setzen wir unseren inneren Zeugen ein? Oder die Übung des achtsamen Atmens?

Zunächst vertrauen wir auf unsere Ich-Stärke, die uns hilft, unsere Arbeit zu bewältigen, die akzeptierte, gesellschaftliche Form aufrechtzuerhalten; und wir setzen all unsere Fähigkeiten ein, um das jeweilige Problem, mit dem wir konfrontiert sind, zu lösen. Das ist gut so.

Wir wissen: das Leiden entsteht in dieser Welt durch Anhaften und Festhalten, Gier, Zorn und Verblendung. Grundsätzlich scheint es so zu sein, dass unser Ich seine eigene Gier und den Hang zur Macht und Aggression gar nicht bewusst erkennen kann.

Die Verblendung - die alte Sichtweise entstanden durch unser jeweiliges psychisches und physisches Muster - ist oft noch eng, einseitig, undurchlässig für Licht und Einsicht.

Auf dem kontemplativen Weg praktizieren wir achtsames Atmen und kommen allmählich im gegenwärtigen Augenblick an. Indem wir immer wieder hartnäckige Gedanken und Gefühle mit dem Ausatmen loslassen und uns begleiten lassen von unserer Silbe - unserem Gebetswort - konzentrieren wir uns auf das EINE, kehren immer neu - geduldig, ausdauernd zur Übung zurück: so entwickelt der innere Laut eine dynamische Kraft in unserem Bewusstsein.

Wir spüren es oft: unser Ich, das es gewohnt ist, festzuhalten, anzuhaften, sich mit seinen Gedanken und Gefühlen, dem Wollen und Wünschen, zu identifizieren, verhindert die Kraft des WEGES. Es verstrickt sich leicht und immer mehr, wenn es in der Fixierung auf der psychischen Ebene, beharrt. Das kann uns in körperliche und auch psychische Schmerzen führen, in eine dramatische Sichtweise der Beurteilung unserer augenblicklichen Lebenssituationen, - wir hängen fest und leiden.

Um im unumgänglichen Schmerz des Lebens Orientierung zu finden, darum praktizieren wir achtsames Atmen. Es geht um die Ernsthaftigkeit unserer Entscheidung: entweder im Festhalten zu verharren oder mit jedem Atemzug loslassend in den Kontakt zu unserem Wesensgrund zu kommen. So entsteht der Weg in uns.

Wenn wir uns entscheiden, Kontemplation zu praktizieren, und uns nach innen wenden, lassen wir uns ausatmend los (mit „Du", „Shalom", „Jesu", „Mu" o. a.), geben uns hin an das Wort. Innen und außen will das Ich nichts mehr, außer dem einen: EINS zu werden mit dieser einen Silbe im Atem, will nichts, als ankommen im Wesensgrund. Oder wie es Meister Eckhart ausdrückt: „Nun wünscht das abgeschiedene Herz gar nichts weiter, als einförmig zu sein mit Gott, das macht sein ganzes Gebet aus."

In dieser tiefen Erfahrung verschwindet das Ich und wird neu aufgerichtet. Erschüttert und staunend schauen wir unseren großen Reichtum an, als Mensch in der Welt da zu sein. Die kontemplative Übung entfaltet alles Leben und eine neue Sichtweise.

Margitte Niederstucke
geboren 1940, 2 erwachsene Kinder und 1 Enkel. 20-Jährige Tätigkeit als Lehrerin für evangelischen Religionsunterricht an Berliner Grundschulen; seit 1974 intensiver Übungsweg in ZEN, Initiatische Therapieformen und Kontemplation; seit 1992 freiberuflich tätig als Kontemplationslehrerin; lebt in Berlin

 

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